Dass ich mir in den letzten Jahren eine tragfähige Selbständigkeit als Moderator, Autor, Musiker und Speaker aufgebaut habe, gehört für mich zu den bedeutendsten Erfolgen, die meine analytische Psychotherapie hervor gebracht hat.

Auf dem Weg dahin habe ich immer wieder Unterstützung erfahren und auch staatliche Förderprogramme in Anspruch nehmen können.

Es gab nur einen Akteur, der mit Gewalt versucht hat, zu verhindern, dass ich diese Selbständigkeit angehe und das ist der Akteur, der Menschen in schweren gesundheitlichen Krisen eigentlich dabei helfen sollte, wieder auf die Beine zu kommen, statt ihnen die Beine wegzutreten.

Die Rede ist von der Deutschen Rentenversicherung (DRV).

Nach den allgemeinen Bestimmungen in §1 des SGB IX ist es die Aufgabe der DRV, bei Menschen, die zu Leistungen zur Teilhabe berechtigt sind, die „Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern“.

In §4, Abs. 1 wird dies dann weiter spezifiziert. Menschen soll „die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten“ dauerhaft ermöglicht werden (Satz 3). Außerdem sei es das Ziel, „die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern“ (Satz 4).

Die für mich zuständige DRV interessierte sich aber weder für meine „Neigungen und Fähigkeiten“ und „Selbständigkeit“ oder gar „Selbstbestimmung“ waren vom ersten Moment an eher Fremdworte in der Kommunikation mit der Rentenversicherung. Stattdessen wurde von oben herab über meinen Gesundheitszustand befunden, ohne dass einer meiner Ärzte oder Therapeuten oder gar ich selbst angehört worden wäre. Es wurden berufliche Ziele vorgeschlagen, die weiter von meinen Neigungen und Fähigkeiten gar nicht hätten entfernt sein können. Mir wurde beständig gesagt, dass das, was ich mir selbst wünschen würde, mich krank machen würde (was ich komplett anders sehe). Und als ob all das nicht ausreichen würde, wurde mir aufgrund meiner psychischen Vorgeschichte in offiziellen Briefen sogar ein daraus folgendes „lebenslanges soziales Kompetenzdefizit“ unterstellt – in einer Zeit, in der öffentlich dafür gekämpft wird, die Stigmatisierung von Menschen mit Depressionen gefälligst zu unterlassen.

Die Auseinandersetzung mit der DRV hat mich immer wieder an die Auseinandersetzung(en) mit meinen Eltern erinnert: da ist jemand, der mir helfen sollte. Aber er tut genau das Gegenteil. Er entscheidet über meinen Kopf hinweg, ohne eine nachvollziehbare Begründung, obwohl er von meiner Seite seitenlange schlüssige Begründungen für den von mir gewünschten Weg bekommt. Meine Begründungen aber werden erst gar nicht angehört. Sie werden einfach ignoriert. Und ich kann mich dagegen nicht zur Wehr setzen. Ich fühle mich machtlos.

Ich habe mich dennoch durchgekämpft und irgendwie: Recht behalten. Denn heute bin ich seit über vier Jahren in einer tragfähigen Selbständigkeit. Ab Juli 2025 werde ich selbst der beständigste Arbeitgeber sein, den ich je in meinem Leben hatte. Es ist ein Job, in dem ich Wertschätzung erfahre, gutes Geld verdiene, mit meinen Stärken arbeite, meinen Neigungen und Fähigkeiten vollständig nachkomme, selbstbestimmt handele und selbständig arbeite. Es ist genau das, was die DRV laut dem SGB IX eigentlich fördern sollte. Es ist aber eben auch genau das, was sie mit Gewalt zu verhindern versucht hat. Ich habe mich damit nicht abgefunden und bin meinen Weg gegen alle Widerstände gegangen und habe damit heute Erfolg. Reichlich.

Obwohl ich auf viele Ressourcen nicht zugreifen konnte, die sicherlich auf dem Weg dahin hilfreich gewesen wären. Obwohl ich vieles von dem, was die DRV an Unterstützung hätte liefern sollen, selbst erwirtschaften und bereitstellen musste. Obwohl mich die Aussagen und Aktionen der DRV psychisch teilweise so enorm belastet haben, dass ich mit auch nur einem Hauch weniger Stabilität wahrscheinlich einfach erneut zerbrochen wäre.

Ich habe gegen die Entscheidung(en) der DRV wieder und wieder Widerspruch eingelegt und diesen mehrseitig begründet – logisch und faktisch, aber auch emotional. Ich habe schlussendlich und folgerichtig Klage vor dem Sozialgericht erhoben. Und dieses Verfahren letztlich aufgrund einer Entscheidung meinerseits verloren, die im Angesicht all dessen, worüber man im Rahmen dieses Verfahrens eigentlich mal hätte sprechen müssen, einfach nur absurd und traurig ist. Es war eine Entscheidung, die ich damals aber aus gutem Grund so getroffen habe. Natürlich ohne zu wissen, dass das am Ende der entscheidende Bumerang werden würde.

Ich hätte gehofft, dass das Sozialgericht ein Urteil sprechen würde, das die DRV dazu verpflichtet, die allgemeinen Bestimmungen des SGB IX mehr zu respektieren und die Wünsche und Aussagen der Betroffenen zu hören und zu achten. Darum habe ich geklagt. Mehrere Jahre lang. Weil ich auch von anderen gehört habe, dass sie von der DRV rücksichtslos und von oben herab behandelt wurden. Und bei denen ist es am Ende nicht so gut ausgegangen wie bei mir.

Ich habe auch geklagt, weil ich mehr und mehr das Gefühl gewonnen hatte, dass es der DRV mehr darum gehen würde, Menschen in irgendwelche Kurse zu stecken, als das zu tun, was für die Betroffenen am Ende gut und richtig wäre.

Außerdem habe ich irgendwann mal nachgerechnet und festgestellt, dass ich das System am Ende vier Mal so viel gekostet habe, wie wenn man meinem Antrag einfach gefolgt wäre. Und da sind die Gerichtskosten noch nicht eingerechnet.

Bei meiner Klage ging es nicht um meinen persönlichen Vorteil. Selbst, wenn ich gewonnen hätte, hätte ich wahrscheinlich überhaupt nichts Zählabares in irgendeiner Form bekommen. Und das brauche ich auch nicht.

Ich klage, weil ich nicht hinnehmen möchte, dass die DRV Menschen so unwürdig behandelt wie sie mich behandelt hat. Ich möchte nicht hinnehmen, dass Menschen in Not das einzige geraubt wird, was ihnen helfen würde: Motivation. Dass sie erniedrigt und stigmatisiert werden, anstatt, dass man ihnen hilft.

Ich will mit meiner Klage etwas verändern. Ich hätte mir gewünscht, dass das Sozialgericht das ähnlich sieht und der DRV klar sagt, dass sie sich an die allgemeinen Bestimmungen und damit den Geist des SGB IX halten muss.

Leider war all das für das Sozialgericht am Ende nicht wichtig bei der Urteilsbegründung.  

Ich für mich habe mir aber immer vorgenommen, dass ich die ganze Geschichte erzählen werde, sobald das Urteil da ist. Und das tue ich jetzt mit diesem Blog-Beitrag. In mehreren Teilen. Weil es eine echt lange, absurde und absurd nervenzehrende Auseinandersetzung war. Die immer noch nicht zu Ende ist. Weil ich in Berufung gehen werde.

Der jahrelange Kampf mit der DRV – Teil 1: Der Antrag

Nach meinem Nervenzusammenbruch, meiner folgenden Diagnose mit Depressionen und einigen anderen psychischen Problemen, der Aufnahme einer intensiven analytischen Psychotherapie, zwei mehrmonatigen vollstationären Aufenthalten und insgesamt anderthalb Jahren Krankschreibung, war ich im Mai 2019 wieder bereit, ins Arbeitsleben einzusteigen und hatte einen konkreten Plan: ich wollte mich als Moderator, Musiker, Autor und Speaker selbständig machen.

Dieser Gedanke war erstmals im Dezember 2018 aufgekommen. Damals war ich für fünf Wochen in einer verhaltenstherapeutischen Klinik in Chemnitz und während dieser Zeit fand eine umfangreiche Konfrontation mit meinem Vater statt.

Während ich bei diesem Thema zum ersten Mal wirklich Klarheit schaffte und Stück für Stück erkannte, wie schädlich die vermeintlichen „Wahrheiten“ meines Vaters waren, desto mehr kam auch der Wunsch danach durch, beruflich das zu machen, was ich eigentlich mein ganzes Leben lang schon machen wollte: auf der Bühne stehen.

Die ersten Versuche, ein Konzept dafür zu erschaffen, mit dem ich mir diesen Traum erfüllen könnte, waren zögerlich. Mein erster Gedanke war, mir eine Promotions-Stelle an einer Universität zu suchen, eine Doktorarbeit zu schreiben und nebenbei eine Selbständigkeit aufzubauen. Je mehr ich darüber nachdachte und mit befreundeten Wissenschaftlern sprach, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich gar nicht wirklich promovieren wollte, sondern das eher als eine Art Vehikel benutzen wollte, um neben dem „unsicheren“ auch etwas „sicheres“ zu haben. Und je mehr ich mir genau das bewusst machte, desto mehr wurde mir klar, wie sehr ich hier immer noch von meiner Angst vor Unsicherheit gesteuert wurde. Darum habe mir damals vorgenommen, dass ich das gerne mit meiner ambulanten Therapeutin bearbeiten wollte, bevor ich mich in die Selbständigkeit stürzen würde.

In der Klinik nahm ich hingegen direkt das Angebot wahr, mich sozialtherapeutisch beraten zu lassen. Im Gespräch dort erklärte ich, dass ich stark in Richtung Selbständigkeit tendieren würde, ich dazu aber noch meine Angst überwinden müsste. Ich legte auch dar, dass ich mich bereits darüber informiert hätte, dass ich einen Gründungszuschuss über die Agentur für Arbeit beantragen könnte, sobald meine Krankschreibung enden würde. Darüber könnte ich dann meine Existenz für die ersten neun Monate sichern. Mit einem solchen Gründungszuschuss bezieht man quasi Arbeitslosengeld I in diesen neun Monaten und ist komplett sozialversichert. Dieser Gründungszuschuss wird zudem von der Sächsischen Aufbaubank (SAB) als existenzsichernde Grundlage angesehen. Damit kann man dann ein staatlich gefördertes Mikrodarlehen in Höhe von 20.000 EUR aufnehmen. Das wollte ich tun. Mein Plan war, dass ich dann den Aufbau einer Marke, Webseite und erste Marketing-Maßnahmen bezahlen könnte, die mich dabei unterstützen würden, Kunden für meine Dienstleistungen zu finden.

Die sozialtherapeutische Beraterin erklärte mir daraufhin, dass ich mit meiner Vorgeschichte auch die Möglichkeit hätte, den Gründungszuschuss als „Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben“ (LTA) über die Deutsche Rentenversicherung (DRV) zu beziehen und dass das einige Vorteile für mich hätte. Zum einen sagte sie, dass die Prüfungskriterien bei der DRV nicht so restriktiv wären, wie wenn ich das Ganze über die Agentur für Arbeit machen würde. Zum anderen meinte sie, dass einige Fristen anders gelagert seien und vorteilhaft für mich wären.

Das klang alles einleuchtend und führte letztlich dazu, dass ich meine Zustimmung dazu gab, diese „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ (LTA) aus der Klinik heraus zu beantragen. Es war ein einfaches Kreuz auf einem Formular, das die Beraterin nach unserem Gespräch ausgefüllt hatte.

Es war das Kreuz, das meine Pläne erheblich ins Wanken bringen sollte.

Denn nachdem ich meine Angst gemeinsam mit meiner Therapeutin überwunden hatte, diese mich auch noch dazu angetriggert hatte, ein Buch über meine Geschichte zu schreiben und ich das gegen einigen Widerstand auch getan und das Konzept meiner Selbständigkeit um das entstandene Buch ergänzt hatte, war ich bereit, den Gründungszuschuss zu beantragen und loszustarten.

Das Gespräch mit der Beraterin hatte ich zu diesem Zeitpunkt fast schon wieder vergessen. Darum ging ich schnurstracks zur Agentur für Arbeit, stellte mich dort vor, berichtete von meiner Situation, präsentierte mein Konzept und fragte, was ich tun müsste, um diesen Gründungszuschuss zu beantragen.

Die dortige Beraterin schaute sich das alles und hörte mir zu und sagte, dass ich enorm gut vorbereitet in diesen Termin gegangen sei und dass sie mir auf dieser Grundlage sofort den Gründungszuschuss zusagen würde. Es gäbe nur ein Problem: die Agentur für Arbeit sei nicht mehr zuständig für mich, da ich „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ beantragt hätte. Daher müsste ich meinen Antrag auf Gründungszuschuss bei der Deutschen Rentenversicherung stellen. Sie könnte für mich nichts weiter tun als festzustellen, dass ich arbeitslos sei und Anspruch auf ALG1 hätte. Dann wünschte sie mir noch viel Erfolg und das war’s dann.

Also ließ ich mir schnellstmöglich einen Termin bei der Deutschen Rentenversicherung geben und wurde nur wenige Tage später persönlich dort vorstellig. Auch dort erzählte ich von meinen Plänen, legte das Konzept vor und fragte, was ich tun sollte. Und die Beraterin dort sagte: ich gebe das alles mal weiter, aber ich gehe davon aus, dass das abgelehnt werden wird.

Ich war zunächst enorm verwundert und erwiderte, dass mir doch in der Klinik noch gesagt worden war, dass das alles kein Problem sei. Dass mir dort erklärt worden war, dass die Kriterien bei der DRV deutlich leichter wären als bei der Agentur für Arbeit und dass ich ja bei Letzterer klar gesagt bekommen hatte, dass die mich gerne fördern würden. Sie drehte dann ihren Bildschirm zu mir und sagte, dass hier ein „negatives Leistungsbild“ über mich vorliegen würde. Darin würde gesagt, dass ich „Stress, Zeitdruck, Reisetätigkeit und Publikumsverkehr“ nicht aushalten würde und jegliche Beschäftigung diese Elemente nicht beinhalten dürfte.

Das hat mich damals erstmal umgehauen. Alle vier Elemente waren ja Dinge, mit denen ich schon immer gut in meinem Leben umgehen konnte. Was ich auch in der Klinik immer wieder gezeigt und erläutert hatte. Was mich in der Klinik heftig aus der Bahn geworfen hatte, war die Auseinandersetzung mit meinen Eltern. Die ganze Geschichte mit der Therapie und der Aufarbeitung hatte mich ordentlich durchgeschüttelt und es war auch vollkommen nachvollziehbar, dass ich in dieser Zeit krankgeschrieben war. Aber mir war auch vollkommen klar, dass ich mich irgendwann wieder aufrappeln würde und dann mit mindestens derselben Stärke, die ich vorher hatte, wieder ins Berufsleben zurückkommen würde. Davon abgesehen waren Reisen und Publikumsverkehr zwei Dinge, die ich unheimlich genoss. Und unter Stress und Zeitdruck arbeitete ich meistens sogar besser als ohne.

Ich fragte, was ich gegen dieses Leistungsbild tun könnte. Die Beraterin meinte, dass ich dagegen in Widerspruch gehen könnte, dass das aber meistens nichts bringen würde. Ich könnte es aber dennoch versuchen. Und das tat ich auch und schickte der DRV folgendes Schreiben: ErsterWiderspruch_Mai2019.pdf

Wenige Wochen später bekam ich dann ein Schreiben, in dem mit keiner Silbe auf meine Einlassungen eingegangen wurde. Stattdessen wurde mir erklärt, dass es unmöglich sei, mit einem solchen Leistungsbild eine Selbständigkeit als Moderator zu fördern. Und es wurde mit einem zweiten Schreiben erklärt, dass ein solches Leistungsbild quasi nicht anfechtbar sei.

Weiter wurde erklärt, dass ein Leistungsbild nicht unbedingt auf Basis individueller Faktoren erstellt werden würde, sondern dass angenommen wird, dass bestimmte Krankheiten mit bestimmten Einschränkungen verbunden seien. Im Klartext stand da für mich: wer irgendwann mal Depressionen diagnostiziert bekommen hat, der darf keinen Job mehr mit Stress, Zeitdruck, Reisetätigkeit oder Publikumsverkehr ausüben. 

Beide Schreiben habe ich hier mit abgelegt: ErsterBescheidDRV_Juni2019.pdf
(Disclaimer: In den Schreiben sind sowohl mein Name geschwärzt (da ich die Anträge noch unter meinem bürgerlichen Namen eingereicht habe) als auch die Namen der Berater*innen und sonstige Dinge, mit denen eine Identifikation in irgendeine Richtung möglich wäre)

Ich konnte das alles einfach nicht verstehen. Es konnte doch nicht sein, dass eine einmal gestellte Diagnose – noch dazu während eines Krankenhausaufenthaltes, der eine der schwersten Konfrontationen meines Lebens beinhaltete (nämlich die mit meinem Vater) – mir den Weg für mein weiteres berufliches Leben verbauen sollte. Die DRV war doch dazu da, mir zu helfen, wieder vollständig zu gesunden und ein vollwertiger Teil der Arbeitswelt zu werden. Und nicht dazu, mich für immer klein zu halten und unter dem Bild einer – hoffentlich irgendwann überwundenen – Krankheit zu betrachten.

Von nun an werde ich immer wieder relevante Original-Dokumente verlinken. Die Geschichte werde ich aber so schreiben, dass sie auch ohne das Lesen dieser Dokumente verständlich ist. Ich möchte sie nur der Vollständigkeit halber mit anbieten.

Im nächsten Beitrag erzähle ich dann davon, wie ich darauf dann wieder reagiert habe und wie die ganze Sache weiterging.