Deutschland ist ein Rechtsstaat. Das bedeutet in der Konsequenz, dass man alle Entscheidungen, die getroffen werden, rechtlich prüfen kann. Das betrifft sowohl das, was der Staat mit einem macht, wenn’s um Gesetze und Gesetzesverstöße geht (Strafrecht) als auch das, was zwischenmenschliche Konflikte oder Uneinigkeiten zwischen Unternehmen angeht (Zivilrecht). Und natürlich kann man auch rechtlich prüfen oder gar klagen, wenn es um soziale Leistungen geht, die einem die Gesellschaft anbietet und die von Institutionen ausgeübt werden. In meinem Fall hat sich unsere Gesellschaft das SGB IX gegeben, um Menschen, die schweres Leid erlitten haben, wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Damit beauftragt, die in diesem SGB IX beschriebenen Aufgaben wahrzunehmen, ist zum großen Teil die Deutsche Rentenversicherung. Die aber hält sich überhaupt nicht an das, was in den Eingangsbestimmungen des Gesetzes festgehalten ist. Das wurde in den ersten beiden Kapiteln dieser Blog-Beitrags-Reihe hoffentlich deutlich. Wer nochmal nachlesen möchte, findet Teil 1 hier und Teil 2 hier. Für alle, die erst hier in die Geschichte einsteigen, lohnt sich zumindest der erste Abschnitt in Teil 1, weil dort die ganze Geschichte einmal zusammengefasst wird und dadurch einige Zusammenhänge vielleicht etwas klarer werden.

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Im Jahr 2020 wollte ich also die Deutsche Rentenversicherung verklagen. Was ich dann im Laufe der Klage von der Deutsche Rentenversicherung zu Menschen mit psychischen Erkrankungen lesen musste, wie sie von dort lebenslang stigmatisiert und klein gehalten werden, hat mich erst sprachlos und dann wütend gemacht. Was am Ende auch der Grund war, dass ich mich in meiner Klage bestärkt fühlte.

Um Klage erheben zu können, braucht es zunächst einen abgelehnten Antrag, dann einen Widerspruch dagegen, der ebenfalls abgelehnt werden muss und dann kann man Klage erheben. Den Widerspruch hatte ich ja im Mai 2020 bekommen. Darauf schrieb ich einfach ein kurzes Widerspruchsschreiben mit der Bitte, das schnell zu bearbeiten, damit ich dann zügig Klage erheben konnte. Denn für mich kam es ja ein Stück weit auf Zeit an. Vor allen Dingen, weil ich ja schon mal durch diesen ganzen Prozess durch war. Den ersten Antrag gab es ja im Mai 2019, dann Widerspruch, Ablehnung und Klageerhebung bis März 2020. Dann aber fiel mir ja im März 2020 ja auf, dass die DRV die ganzen Dokumente, die ich ihr geschickt hatte, nur dann berücksichtigt, wenn sie zum Erstantrag gehören. Darum wurden die ärztlichen und therapeutischen Stellungnahmen auch einfach ignoriert. Und darum zog ich Klage und Antrag ja im März 2020 zurück und reichte einen neuen Antrag mit Arztbriefen und Geschäftskonzept ein. Wie das genau ablief, steht auch ausführlich in Teil 2.

Ich begann im Mai 2020 zudem mit der Integrations-Maßnahme, die die DRV für mich vorgesehen hatte, um mich wieder ins Arbeitsleben einzugliedern. An einem Institut in Dresden sollte ich verschiedene Schulungen mitmachen und von Fachkräften interviewt werden, um passende Berufsfelder für mich zu finden. Auf die Interviews und die Findung dieser Berufsfelder war ich unheimlich neugierig. Ich hatte mein Studium erstklassig abgeschlossen, hielt mich auch für jemanden, der einige Kompetenzen mitbringt, aber ich hatte schon nach meinem Studium keine Ahnung, wie und wo ich das in den Arbeitsmarkt einbringen könnte. Die Selbständigkeit als Moderator wirkte für mich wie etwas, das super passte. Aber ich war durchaus neugierig, ob man an diesem Institut nicht etwas für mich finden würde, das ebenso gut oder vielleicht sogar besser passen würde.

Dazu gab es dann auch noch Schulungen. Buchführung, Rechnungswesen, Büromanagement. Da war mir von Beginn an klar, dass das wenig erhellend sein würde. Ich hatte einen Master in BWL. Da würde sehr wahrscheinlich nicht viel Neues für mich dabei sein. Entsprechend war es fast ein Glück, dass das alles während der ersten heißen Phase von Corona stattfand und daher nicht in Präsenz. Die Schulungseinheiten fanden alle über Zoom statt. Ich konnte das also einfach nebenbei laufen lassen, mich mit etwas anderem beschäftigen und ab und an mal eine Frage beantworten.

Dieser Zustand sollte aber nicht lange anhalten: schon im Juli drängte die Leitung des Instituts darauf, Menschen wieder in Präsenz zusammen zu bringen und zu beschulen. Zu dieser Zeit gab es noch keinen Impfstoff und es war generell wenig über das Corona-Virus bekannt. Was man damals wusste, war, dass Menschen, die sich infizierten, in manchen Fällen eine schwere Lungenschädigung davon tragen konnten. Falls mir das passieren würde, könnte das eine erhebliche lebenslange Einschränkung meiner Stimme bedeuten. Und meine Stimme war mein Kapital: als Moderator, als Sänger, als Vortragsredner. Ich hatte unheimliche Angst, dass ich mir hier einen langfristigen und irreparablen Schaden zuziehen konnte. Nur, um an einer Schulung teilzunehmen, die mir rein gar nichts brachte.

Zu allem Übel wurden bei den Schulungsmaßnahmen auch keine Hygienemaßnahmen eingehalten. Die Fenster mussten geschlossen werden, weil es den Leuten kalt wurde. Ein Mindestabstand von 1,5m wurde so gut wie nie eingehalten, Masken trug auch keiner. Gab es damals noch nicht.

Ich versuchte, der Institutsleitung zu verdeutlichen, dass ich enorme Angst vor einer Infektion mit Covid hatte. Das fiel nicht auf fruchtbaren Boden. Ich wurde gezwungen, an den Veranstaltungen in Präsenz teilzunehmen. Das führte dann dazu, dass ich eine Angstattacke erlebte. Dass mich jemand vollkommen nutzlos einer solch gravierenden Infektion aussetzte und ich nichts dagegen tun konnte, triggerte mich auf einem Level, das ich vorher noch nicht erlebt hatte. Nach fünf Minuten im Unterrichtsraum stürmte ich raus und sagte, dass ich mir das unter gar keinen Umständen antun werde. Ich wurde zu meinem Hausarzt geschickt und der stellte mir ein Attest darüber aus, dass ich von der zwangsweisen Teilnahme an solchen Präsenz-Schulungen freigestellt wäre. Damit durfte ich dann wieder aufs Homeschooling ausweichen, was mir aus genannten Gründen ohnehin sehr viel lieber war. Dass man meine (berechtigten) Ängste aber so wenig ernst nahm und das unter der Vorgabe, ja nur das Beste für mich zu wollen, machte mich aber wirklich kirre.

Da wurde auf der einen Seite gesagt, dass ich auf keinen Fall Publikumsverkehr, Reisetätigkeit, Stress und Zeitdruck aushalten dürfte – alles Dinge, die ich gerne mochte und die ich gerne auf mich nahm. Und auf der anderen Seite sagte ich, dass ich enorme Angst vor einer Infektion mit Covid hätte, deren Risiko man mich ohne irgendeinen Nutzen zwangsweise aussetzen wollte. Das passte doch nicht zusammen.

Auch hier bin ich aber froh, dass ich zu mir stehen und mein Recht am Ende durchsetzen konnte. Es ist doch nicht auszudenken, dass ich mir da vielleicht Long Covid hätte holen können und meine Karriere als Moderator und Sänger damit vorbei gewesen wäre, bevor sie überhaupt eine Chance hatte, zu starten.

Leider waren auch die anderen Maßnahmen an diesem Institut wenig zielführend. Man machte Tests mit mir, führte Gespräche mit mir und schlug mir dann Stellenprofile vor, die mich nicht nur einmal zum Stirnrunzeln brachten. Da wurde mir angeraten, in einer Marketing-Agentur anzufangen – die Branche, aus der ich gerade zweimal gefeuert worden war. Mir wurden Führungstätigkeiten im Vertrieb vorgeschlagen – also der Job, den ich gerade gemacht hatte und den ich laut Rentenversicherung nie mehr ausüben dürfte. Und ja auch überhaupt nicht wollte. Es waren lauter Vorschläge, die den einschränkenden Kriterien der Rentenversicherung noch mehr widersprachen als meine Selbständigkeit. Als ich das anmerkte, wurde ich aufgefordert, selbst mit Vorschlägen zu kommen. Das tat ich und schlug vor, dass ich ja als Produkt-Trainer arbeiten könnte. Ginge nicht, das wäre ja Publikumsverkehr. Ich könnte ja auch als Dozent arbeiten, hatte ich ja auch schon gemacht. Ginge auch nicht. Irgendwann schlugen sie dann vor, dass ich ja Fahrrad-Monteur werden könnte. Und da wurde es mir dann zu dumm. Ich fragte, ob das wirklich ein passender Einsatz meiner Fähigkeiten und Kompetenzen wäre. Und bekam entgegnet, dass es ja auch schwer sei, etwas für mich zu finden. Dem stimmte ich zu. Und sagte, dass ich darum ja die Selbständigkeit als Moderator, Musiker und Redner anstreben würde.

Die verfolgte ich übrigens nebenbei weiter. Und bekam meinen ersten Auftrag im Juni 2020 als Moderator eines IT-Webinars, das ich von meiner Küche aus durchführen könnte. Diesem Auftrag folgen weitere Beauftragungen, die alle zum vollen Tagessatz abgerechnet werden konnten. Während also die Bemühungen des Instituts darin mündeten, mir zu beweisen, wie schwer vermittelbar ich doch sei, funktionierte auf der anderen Seite genau das, was ich immer vor hatte. Und so wurde meine anfängliche Motivation und Neugier auf diese Maßnahme im Verlauf der Zeit immer kleiner. Denn das, was ich tun wollte, trug Früchte. Die Maßnahme nicht.

Ich versuchte trotzdem, weiter motiviert mitzuarbeiten. In der Zeit im Institut schrieb ich mit den Mitarbeitern des Instituts gemeinsam über 30 Bewerbungen – die alle abgelehnt wurden. Ich versuchte, allen Vorschlägen zu folgen. Nur zum Fahrrad-Monteur ließ ich mich letztlich nicht ausbilden. Denn als das vorgeschlagen wurde – im März 2021 – war meine Selbständigkeit so gut am Laufen, dass ich schon so viel verdient hatte, dass ich für das komplette Jahr ausgesorgt hatte.

Ich konzentrierte mich also darauf, die Selbständigkeit weiter voranzutreiben und die Maßnahme irgendwie vernünftig abzuschließen. Und ich erhob Klage vor dem Sozialgericht gegen die Entscheidung der Rentenversicherung. Denn spätestens jetzt hatte ich ja bewiesen, wie unsinnig diese Entscheidung gewesen war. Hätte man mich gefördert, hätte ich von Anfang an meine Pläne umsetzen können, wäre ich auch von Anfang an erfolgreich gewesen. So hatte es nun zwar länger gedauert, aber es hatte ja geklappt. Nur, dass ich das System in dieser Zeit nun eben deutlich mehr gekostet hatte. Denn der Staat zahlte mir in dieser Zeit ja Übergangsgeld, bezahlte diese Maßnahme, bezahlte die Verwaltung all dieser Dinge und das war doch auch nicht das, was der Staat wollen könnte.

Mir ging es jetzt nicht mehr darum, gefördert zu werden. Mir ging es darum, auf diesen Missstand aufmerksam zu machen. Darauf aufmerksam zu machen, wie sehr die Rentenversicherung mich unterjocht hatte und mich zu einem Leben zwingen wollte, das ich so nie führen wollte. Hätte ich die Selbständigkeit nicht gehabt, dann wäre das Ende der Maßnahme gewesen, dass man mich nicht erfolgreich hätte vermitteln können und ich wäre ohne einen Job aus dieser Maßnahme heraus in Arbeitslosengeld 2 abgerutscht. Meine wirtschaftliche Existenz wäre vernichtet gewesen, weil ich dann meine Eigentumswohnungen unter Marktpreis hätte verkaufen müssen und die Kredite mich gekillt hätten. Was das psychisch mit mir gemacht hätte, möchte ich mir nicht ausmalen.  

Die rechtliche Beratung des VdK sagte mir, dass mit einer Entscheidung über meine Klage erst in ein paar Jahren zu rechnen wäre. Zu diesem Zeitpunkt war mir das aber egal. Meine Selbständigkeit lief. Die Klage könnte jetzt nebenher laufen. Und das tat sie dann über die nächsten Jahre auch.

Im August 2021 äußerte sich die Rentenversicherung dann zur Klage. Und brachte ein Argument, bei dem mir die Kinnlade auf die Tastatur fiel. Im Schreiben hieß es unter anderem, dass mein negatives Leistungsbild nicht mit dem Profil der Tätigkeit eines Moderators, Musikers, Autors und Redners vereinbar sei, „insbesondere auch hinsichtlich der zusätzlich bestehenden primär narzisstischen Persönlichkeitsstörung, da diese immer auch mit einem sozialen Kompetenzdefizit vergesellschaftet ist, so dass die geforderten Soft-Skills in dieser Tätigkeit von dem Kläger nicht oder nur unzureichend erfüllt werden können“.

Im Klartext heißt das, dass jemand mit meinem Krankheitsbild in den Augen der Rentenversicherung ein lebenslanges „Kompetenzdefizit“ bei Soft-Skills mitbringen würde. Und das schien für die wohl lebenslang zu gelten. Mir würden in deren Augen für immer die Soft Skills fehlen, um selbständig arbeiten zu können.

Nicht nur, dass ich das durch meinen Erfolg eindeutig widerlegt hatte. Nein. Ich konnte und kann nicht akzeptieren, dass ein Mensch, der sich seiner Lebensgeschichte gestellt hat, seine schwerwiegenden Traumata erfolgreich aufgearbeitet hat und den Weg ins Leben zurück gefunden hat, dergestalt stigmatisiert wird. Das ist genau das Gegenteil dessen, was wir bei psychischen Erkrankungen brauchen. Wir brauchen Hoffnung. Bestärkung. Aktivierung. Aber nicht eine Rentenversicherung, die einem sagt, dass man von jetzt an ein lebenslanges Kompetenzdefizit haben wird und daran auch nichts ändern kann. In meinen Augen ist die Rentenversicherung dazu da, Menschen zu helfen, wieder ins Leben zu finden. Und nicht, ihnen immer wieder eine drauf zu geben. Vor allen Dingen nicht so einen Hammer.

Im selben Schreiben wurde auch darauf abgestellt, dass ich mich während der Maßnahme aufgrund meiner Covid-Angst vom Unterricht freistellen ließ. Und es wurde versucht, das so auszulegen, als würde das mein negatives Leistungsbild nur bestärken und die Entscheidung der Rentenversicherung rechtfertigen. Ich hätte mir das alles nicht ausdenken können. Aber ich habe es ja zum Glück schriftlich vor mir liegen.

Dieses Schreiben aber bestärkte mich darin, parallel zu meiner erfolgreichen Selbständigkeit, die Klage zu Ende zu führen. Denn das konnte ich so nicht stehen lassen. Das ging einfach nicht.

Das ganze Schreiben habe ich hier abgelegt: Einlassung_DRV_August2021.pdf

Auf diese Einlassung formulierte ich gemeinsam mit der Anwältin des VdK eine engagierte Widerrede, in der ich unter anderem auch argumentierte, dass Therapien und Behandlungen ja immer das Ziel haben sollte, dass sich der Zustand der Patienten verbessert. Das Ziel jeder Therapie sollte Heilung sein. Das stand auch in einem Krankenhausbericht so über mich niedergeschrieben: „ein Psychogeneseverständnis ist vorhanden und eine Veränderungsmotivation gegeben“. Nur bei der Rentenversicherung schien es dieses Psychogeneseverständnis nicht zu geben. Da schien zu gelten „einmal krank, immer krank“. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Das komplette Schreiben dazu, das auch ausführliche Einlassungen zur Maßnahme am Institut enthält, habe ich hier abgelegt: Antwort_VdK_Okt2021.pdf

Parallel dazu fand ich auch heraus, dass es beim Sozialministerium eine Stelle gab, an die man sich in Fällen wie meinem wenden könnte. Ich schrieb meine Geschichte für diese Beschwerdestelle nochmal ausführlich auf und schickte sie ab: Schreiben_Sozialministerium.pdf

Ein paar Monate später bekam ich eine Antwort, die genauso nichtssagend und demotivierend war wie das, was mir die Rentenversicherung immer wieder geschickt hatte: Antwort_Sozialministerium.pdf

Es ist ja eine Sache, wenn die Rentenversicherung Menschen dergestalt von oben herab behandelt. Wenn es dann aber auch noch eine Beschwerdestelle gibt, die dann nichts anderes tut, als einfach die Seite der Rentenversicherung zu ergreifen und Menschen nicht unterstützt, sondern einfach im Regen stehen lässt, dann fragt man sich, wozu es die eigentlich gibt und wofür die Menschen bezahlt werden, die da arbeiten.

Das finde ich vor allem vor dem Hintergrund schockierend, dass es ja auch genug Menschen gibt, die nicht das Durchhaltevermögen (und das Glück) haben, das ich hatte. Die sich von so etwas kaputt machen lassen und am Ende an so etwas zugrunde gehen. Für genau diese Menschen wollte ich den Rechtsstreit führen. Damit die Gesellschaft aus meiner Geschichte lernen kann.

Was dabei dann herausgekommen ist, darum geht es dann im vorerst letzten und vierten Teil dieser Geschichte.