Wenn Institutionen, die Menschen in Not eigentlich helfen sollten, ihre Arbeit nicht richtig machen und nicht helfen, sondern Menschen sogar behindern, dann hat man in Deutschland immer die Möglichkeit, in irgendeiner Form zu widersprechen. Schließlich sind wir ein Rechtsstaat. Ich bin jemand, der das dann auch tut. Weil mir Gerechtigkeit wichtig ist. Für mich selbst, aber auch für alle anderen, die in irgendeiner Form mit diesem System zu tun haben könnten. Darum habe ich auch gegen den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung, mit dem mir die Förderung meiner Selbständigkeit versagt wurde, Widerspruch eingelegt.

Dies ist der zweite von vier Teilen, in denen ich meine enorm nervenzehrende, sehr frustrierende und wenig hilfreiche Auseinandersetzung mit Deutschen Rentenversicherung dokumentiere. Den ersten Teil findet ihr hier und die beiden weiteren Teile werde ich in nächster Zeit nachliefern.

Nachdem mir die Deutsche Rentenversicherung im Juni 2019 mitgeteilt hatte, dass ich in deren Augen zu krank sei, um eine Selbständigkeit als Moderator, Musiker, Autor und Speaker aufzunehmen, verstand ich die Welt nicht mehr. Ich hatte mehrere Monate mit meiner Psychotherapeutin daran gearbeitet, dass ich die nötige Stabilität für genau diese Tätigkeit haben würde. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben dabei, wirklich meinen Wünschen nachzugehen und einen Beruf zu ergreifen, in dem ich einerseits wirklich gut war und der mir andererseits auch noch so viel Spaß machte, dass Arbeit für mich nichts Unangenehmes sein würde, sondern etwas, von dem ich schon aus mir selbst heraus viel Freude daran haben würde. Und jetzt erzählte mir irgendjemand, den ich noch nie gesehen hatte, dass ich dazu nicht in der Lage sei.

Ich erkundigte mich bei meiner Reha-Beraterin, was ich dagegen unternehmen könnte. Sie erklärte mir, dass ich gegen den Bescheid offiziell Widerspruch einlegen könnte. Und das tat ich auch. Und erklärte der DRV, dass die Selbständigkeit gut vorbereitet war, dass ich bereits in meinem letzten Klinikaufenthalt darüber gesprochen hatte, dass mir die Beraterin dort gesagt hätte, dass ich den Gründungszuschuss über die DRV sehr viel leichter bekommen würde als über die Agentur für Arbeit (die mir ja gesagt hatten, dass sie mir den auf jeden Fall gegeben hätten). Mich wunderte es schon ziemlich, dass die Pläne für meine Selbständigkeit für die DRV neu waren, nachdem ich das ja ausführlich in der Klink besprochen hatte. Das merkte ich in meinem Schreiben auch an. Und ich erklärte mich bereit, jederzeit zu einem persönlichen Gespräch zur Verfügung zu stehen, in dem man meine Eignung noch einmal prüfen könnte. Schließlich fanden ja all diese Beurteilungen statt, ohne, dass mich jemand von der DRV mal direkt angeschaut hätte. Das fand ich schon sehr fragwürdig.

Darüber hinaus bot ich der DRV an, dass man auch gerne direkt in Kontakt mit meinem Hausarzt, meiner Psychotherapeutin oder meinem Psychiater gehen könnte. Die könnten mich ja schließlich sehr viel besser einschätzen. Und die könnten vor allen Dingen eine aktuelle Einschätzung über mich abgeben. Denn die Einschätzungen der DRV basierten ja offenbar vor allen Dingen auf meiner Zeit in der Klinik. Und diese Zeit war einfach sehr konfliktbehaftet gewesen. Sie war aber eben auch im Dezember 2018 vorbei gewesen. Und im Mai 2019 – als ich die Selbständigkeit beantragt hatte – ging es mir schon wesentlich besser. Was ja auch der Sinn und Zweck von solchen Behandlungen ist. Oder zumindest sein sollte.

Meinen Widerspruch sendete ich dann Ende Juli ab: Widerspruch_Leistungsbild_160719.pdf

Parallel machte ich mich aber auch noch kundig darüber, wie ich mich rechtlich vertreten lassen könnte. Ich recherchierte nach Anwälten für Sozialrecht, führte ein erstes Gespräch und wurde von eben diesem Anwalt dann auf den VdK hingewiesen. Er meinte, dass das in meinem Fall wesentlich besser passen würde als wie wenn ich mich durch ihn vertreten lassen würde.

Der VdK ist ein Sozialverband, der Menschen dabei unterstützt, rechtlich gegen ungerechte Behandlung durch soziale Träger vorzugehen.  Dafür arbeiten beim VdK auf Sozialrecht spezialisierte Anwälte. Als Betroffener bezahlt man einen pauschalen Betrag und bekommt dafür dann durchgängig anwaltliche Beratung. Das ist natürlich deutlich günstiger als einen Anwalt auf Stundenbasis bezahlen zu müssen. Also schilderte ich meinen Fall dort, wurde Mitglied und ließ mich vom VdK vertreten.

Die formulierten dann auch direkt nochmal ein formaljuristisches Schreiben, das sie an die Deutsche Rentenversicherung schickten. Inhaltlich fassten sie dabei nochmal alles zusammen, was ich ja auch schon geschrieben hatte. Aber sie machten das natürlich nochmal auf einer juristischen Ebene, die ich als Laie so natürlich nicht drauf habe. Und sie stellten auch fest, dass die DRV ihnen offenbar ein Recht auf Akteneinsicht verwehrt hatte. Diese Rentenversicherung kam mir immer dubioser vor: Schreiben_VdK_Oktober2019.pdf

Während all diese Dinge liefen, war ich übrigens offiziell arbeitslos. Das wollte ich ja aber nicht sein. Ich wollte ja an meiner Selbständigkeit arbeiten. Das erklärte ich auch bei meinem nächsten Gesprächstermin im Arbeitsamt. Die erklärten mir dann, dass sie es durchaus für sinnvoll halten würden, wenn ich an der Selbständigkeit arbeiten würde, dass ich aber aufpassen müssen, dass ich nicht länger als 15 Stunden pro Woche daran arbeite. Denn dann würde ich meinen Anspruch auf Arbeitslosengeld verlieren und das war ja das, was mich aktuell am Leben hielt. Denn Aufträge gab es zu der Zeit natürlich noch nicht.

Ich fragte bei diesem Termin auch nach einer Künstlervermittlung, die die Agentur für Arbeit offenbar anbieten würde. Darauf wurde mir erklärt, dass ich darauf zugreifen könnte, wenn ich den Gründungszuschuss bekäme. Aber als Arbeitsloser eben nicht. Mist.

Parallel dazu erkundigte ich mich, ob es irgendwelche Förderungen für Selbständige geben würde und fand die Existenzgründungsberatung der SAB. Und sogar ein Unternehmen, das in diesem Rahmen Menschen beraten würde, die sich in kreativen Berufen selbständig machen. Ich beantragte die Förderung, kontaktierte die Beraterin und nahm an einem Existenzgründungskurs teil, in dem mein Geschäftskonzept nochmal deutlich geschärft wurde.

Darüber wurde ich auch auf den Mikrokredit der SAB aufmerksam. Dort konnte man sich 20.000 EUR zu vergünstigten Konditionen leihen. Mit der Existenzgründungsberaterin machte ich einen Plan, was ich alles an Marketing brauchen würde, um meine Dienstleistungen bekannt zu machen und wie ich diesen Kredit dafür einsetzen würde. Dann ging ich zur SAB. Und die sagten mir, dass man den Kredit nur bekommen würde, wenn man eine existenzsichernde Grundlage vorweisen könnte. Da ich aber ja keinen Existenzgründungszuschuss bekommen würde, wäre das bei mir ja nicht der Fall. Und Arbeitslosengeld würde da nicht zählen. Auch Mist.

Also bereitete ich weiter meine Selbständigkeit vor und hoffte, dass die Rentenversicherung ein Einsehen haben würde und meinen Widerspruch positiv bescheiden würde. Taten sie aber nicht. Im Februar bekam ich dann ein Schreiben, in dem mein Widerspruch offiziell abgelehnt wurde.

Die Rentenversicherung war der Meinung, dass meine Selbständigkeit nicht erfolgversprechend sei und dass eine Wiedereingliederung in das Berufsleben aus ärztlicher Sicht nicht gewährleistet wäre. Obwohl ich ja all das ausführlich verargumentiert hatte und Briefe meiner Ärzte und Therapeuten beigefügt hatte. Ich verstand das alles nicht. Ablehnung_Widerspruch_DRV2020.pdf

Ich sprach also wieder mit dem VdK und fragte, was ich nun tun könnte und die sagten mir, dass ich gegen diesen Widerspruch nun Klage einreichen könnte. Das könnte aber Jahre dauern, bis das entschieden werden würde. Zeit, die ich nicht hatte. Denn im April 2020 würde mein Anspruch auf Arbeitslosengeld auslaufen. Dann müsste ich entweder von meiner Selbständigkeit leben können oder ich würde in ALG2 rutschen.

Parallel dazu brach die Corona-Pandemie über uns herein und stellte meine Selbständigkeit als Moderator, Musiker, Autor und Speaker vor ganz andere Herausforderungen. Ich bekam es richtiggehend mit Angst zu tun. Denn die Selbständigkeit lief ja noch nicht. Ich hatte bis hierhin alles auf Halbgas laufen lassen, weil ich ja nichts an Unterstützung in Anspruch nehmen durfte: keinen Gründungszuschuss, keine Künstlervermittlung, keinen Mikrokredit, kein Marketing. Und entsprechend auch: keine Aufträge in 2019. Dadurch kam ich auch nicht für irgendwelche Corona-Hilfen in Frage. Ich hatte jetzt zwei Optionen: mich aus der Arbeitslosigkeit einfach abzumelden und ins kalte Wasser zu springen. Angesichts der Corona-Pandemie aber keine sonderlich vielversprechende Option. Oder in der Arbeitslosigkeit bleiben und in ALG2 rutschen.

Was aus vielen Gesichtspunkten keine gute Option war. Vor allen Dingen aber deswegen, weil mein Vater mir 2014 drei Eigentumswohnungen aus dem Familienvermögen verkauft hatte, die ich über einen Kredit bei der Bank und einem Privatkredit bei ihm gegenfinanziert hatte. Würde ich jetzt in ALG2 rutschen, würde ich diese Wohnungen zwangsverkaufen müssen. Da das vor der 10-Jahres-Haltefrist geschehen würde, würde Einkommensteuer darauf fällig werden. Was bedeuten würde, dass die Kreditrückzahlung höher wäre als der Ertrag mit dem Verkauf. Ich würde damit sehr wahrscheinlich auf einen Schlag in die Privatinsolvenz getrieben werden.  

Der VdK sagte mir aber auch, dass ich das Recht hätte, die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben einzufordern und dass mir dann die Rentenversicherung sagen müsste, was in ihren Augen eine leidensgerechte Option wäre, um mich wieder ins Arbeitsleben einzugliedern.

Tatsächlich wusste ich damals einfach nicht, was ich jetzt tun sollte. Ich glaube zwar weiter an die Selbständigkeit. Aber vor dem Gesichtspunkt der Corona-Pandemie wirkte das wackliger als jemals zuvor. Vielleicht hätte die DRV ja tatsächlich eine Idee, was ich beruflich machen könnte. Vielleicht würde da ja eine Inspiration kommen, die mich auf einen neuen Weg bringen würde.

Also ging ich wieder zu meiner Reha-Beraterin und fragte sie, was die DRV für mich vorsehen würde.

Dort wurde mir vorgeschlagen, eine Integrationsmaßnahme am MIQR Dresden zu beginnen. Dort würde man meine beruflichen Fähigkeiten erfassen, mich weiterbilden und mit mir gemeinsam dann passende Job-Angebote erarbeiten.

Die Reha-Beraterin sagte mir in diesem Gespräch aber auch, dass die DRV Arztbriefe nur dann berücksichtigen würde, wenn die von der DRV angefordert würden und dass es daher sinnlos sei, denen irgendwelche Schreiben und Briefe zukommen zu lassen.

Das alles brachte mich dann auf die Idee, den Antrag auf den Gründungszuschuss zurückzuziehen und einen neuen Antrag einzureichen, dem ich dann die Arztbriefe, das Geschäftskonzept und ein persönliches Schreiben anhängen könnte. Dann müsste die DRV diese Dokumente berücksichtigen und in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen.

Ich erinnerte mich damals auch an das Gespräch mit der sozialmedizinischen Beraterin in der Klinik, mit dem das Ganze ja begonnen hatte. Die hatte mir gesagt, dass der Gründungszuschuss bei der DRV bis zum letzten Anspruchstag im ALG1 beantragt werden könnte. Das war der entscheidende Unterschied zur Beantragung des Gründungszuschuss bei der Agentur für Arbeit. Dort musste man mindestens sechs Monate Restanspruch haben. Das war also ein Strohhalm, an den ich mich klammern konnte. Wenn der Gründungszuschuss einen Tag vor Ablauf des ALG1 bewilligt werden würde, dann könnte ich doch noch direkt loslegen. Und wenn nicht, dann würde ich eben die Maßnahme am MIQR machen.

Das war allen Dingen deswegen sinnvoll, weil mir diese Maßnahme zumindest Zeit verschaffen würde. Ich würde über 12 Monate Übergangsgeld bekommen. In derselben Höhe wie ich vorher Arbeitslosengeld 1 bekommen hatte. Ich könnte während der Weiterbildung weiter an meiner Selbständigkeit arbeiten. Und dann im Verlauf schauen, was am Ende besser passen würde: eine Anstellung, die aus dieser Maßnahme erwächst oder eben die Selbständigkeit. Parallel dazu könnte ich Klage erheben und dann vielleicht doch noch die Zusage für den Gründungszuschuss bekommen und da durchstarten können.

Ich sagte also der Maßnahme erstmal zu, zog meinen Antrag zurück und stellte einen neuen Antrag. Mit einem neuen Schreiben, in dem ich ausführlich darlegte, wieso ich die Selbständigkeit weiter für sinnvoll hielt: Anschreiben_DRV.pdf ,  PersönlicheEinlassung_DRV_120320.pdf , Arztbrief_Psychiater.pdf , Arztbrief_Therapeutin.pdf

Wenn ich heute darauf zurückschaue, komme ich mir manchmal vor wie ein Sozialschmarotzer, der das System aufs Allerletzte ausgereizt hat. Ich muss mir dann aber auch immer wieder in Erinnerung rufen, wie es anders hätte laufen können: hätte ich den Gründungszuschuss wie geplant im Mai 2019 bekommen, hätte ich sechs Monate auf Volldampf arbeiten können, erste Aufträge an Land ziehen und dann im schlimmsten Fall in 2020 auf Corona-Hilfen zurückgreifen können. Zumindest aber hätte ich schon ein Netzwerk an Kunden gehabt, mit dem ich vielleicht schon irgendwie hätte arbeiten können. Das Leben findet aber nicht in Konjunktiven statt.

Es findet in Tatsachen statt. Und zwar in der Tatsache, dass die DRV auch diesen Antrag ablehnte: Ablehnungsbescheid_DRV_Mai2020.pdf

Gegen diesen Bescheid legte ich dann gemeinsam mit dem VdK wieder einen Widerspruch ein. Und begann gleichzeitig mit der Maßnahme im MIQR.  

Was da dann passiert ist – darum geht’s dann in Teil 3 dieser Geschichte.