Eine von innen ausgebrannte Weide am Elberadweg in Dresden.

Als ich ein Kind war, habe ich mich jedes Jahr auf Weihnachten gefreut. Wie man das als Kind eben tut. Wegen der Geschenke – klar. Aber rückblickend vermutlich noch aus einem anderen Grund: Weihnachten war eine der wenigen Zeiten im Jahr, die geordnet ablief. Es gab einen Plan. Einen Ablauf. Eine Uhrzeit für den Kirchgang, eine Uhrzeit für die Bescherung. Dinge hatten ihren Platz. Und für einen Moment fühlte sich Familie nach etwas an, das funktioniert.

Mit der Scheidung meiner Eltern und dem Hinzukommen meiner Stiefmutter änderte sich das.
Weihnachten wurde unruhig. Konkurrenzgeladen. Ein stiller Wettstreit darum, welches Familienmitglied das „bessere“ Fest ausrichtete. Es gab Streit, unausgesprochene Spannungen und dieses diffuse Gefühl, dass es weniger um Zusammensein ging als um Inszenierung.

Mit 18 habe ich einen Text in ein Online-Forum geschrieben. Ich poste ihn mal der Vollständigkeit halber in voller Länge hier rein, um den kompletten Eindruck zu vermitteln. Wem der Text zu lang ist, kann ihn aber auch überspringen und einfach unten weiterlesen. Er ist pathetisch, stellenweise naiv, aber sehr ernst gemeint – und er zeigt ziemlich klar, wonach ich mich damals gesehnt habe.

Weihnachten – Konsumrausch oder Fest der Liebe?

Jedes Jahr, wenn die Tage kürzer werden und sich ein langes Jahr langsam dem Ende neigt, beginnt die Menschheit auf fast dem gesamten Erdball durch die Geschäfte zu hetzen. Hier ein Geschenk, dort eine kleine Aufmerksamkeit; der Weihnachtsstress beginnt meist schon Mitte November. Doch sollte Weihnachten nicht viel mehr das Fest der Liebe und Besinnung, der Harmonie und Ruhestimmung sein?
Teilweise, wenn man heutzutage unter die Weihnachtsbäume der Familien schaut, überkommt einen ja schon ein kleiner Schauer. Denn in manchen Familien findet man keine großen, buntverpackten Geschenke mehr, sondern nur noch kleine weiße Umschläge mit einer Karte, einem handgeschriebenen Gruß und einem Geldschein. So gesehen ist der Weihnachtsbaum und die damit verbundene Bescherung an Heilig Abend ja unnötig. Viel einfacher wäre es ja, zur Bank zu gehen und ein Überweisungsformular abzugeben. In die Verwendungszweckzeile noch einen lieben Gruß eingetragen und ab dafür. Oder – noch einfacher – die Beträge per Onlinebanking überweisen.
Nein, es ist kein Scherz. Wenn die Situation mal realistisch betrachtet wird, ist die Gesellschaft wirklich nur noch wenige Schritte von einem solchen Weihnachten entfernt.
Doch würde uns dann nicht allen etwas fehlen? Die brennenden Kerzen auf dem Weihnachtsbaum vielleicht, oder der immer noch vielerorts traditionelle Gang in die Kirche, wenigstens einmal im Jahr. Die Atmosphäre, die durch die Städte hindurch erzeugt wird, der Schmuck an den Fenstern, die Lichterketten in den öffentlichen Bäumen. Alles Attrappe, kann man sagen. Ein bisschen künstliches Weihnachten um die Schenkzeremonie nicht so trostlos zu gestalten.
Und doch hat Weihnachten ein besonderes Flair und wird es immer besitzen. Denn, wenn wir mal ganz tief in uns gehen, wer will denn schon den Duft von Lebkuchen aus Omas Küche oder die Weihnachtslieder im Radio missen? Und dieses Gefühl, wenn der Heilige Abend dann angebrochen ist. Dieses Gefühl, wenn die ganze Welt stillsteht und besinnlich feiert?
Ich möchte es nicht missen und ich wünsche mir, dass unter meinem sowie unter vielen anderen Weihnachtsbäumen weniger weiße Umschläge und mehr bunte und schöne Pakete stehen, dass die Menschen wenigstens in dieser Zeit freundlicher zueinander werden und aus dem Konsumrausch wieder ein Fest der Liebe wird.

In diesem Sinne,
Frohe Weihnachten


Ich habe diesen Text damals auch meinen Eltern geschickt.

An Weihnachten, ein paar Wochen später, bekam ich einen weißen Umschlag.

Und eine Ohrfeige.

Über Jahre habe ich verdrängt, wie traumatisch die Geschehnisse an Weihnachten 2001 waren. Meine Eltern haben sich in den Jahren danach irgendwann sogar jedes Jahr aufs Neue darüber lustig gemacht. Erst als ich 2017 begonnen habe, mein Leben therapeutisch aufzuarbeiten, kam das wieder hoch. Und wurde neu eingeordnet. Und zwar so, wie es eigentlich richtig ist: als unfassbar geringschätziges, übergriffiges Verhalten mir gegenüber. Und als trauriges Symbol für die Art, wie diese Menschen mein Leben lang mit mir umgegangen sind.

Darum habe ich die ganze Geschichte, die Hintergründe und auch das, was dann eine Woche später zum Jahreswechsel passiert ist, in meinem Buch „Steine im Rucksack“ aufgeschrieben.

2017 hat meine Schwester sich noch gegen meine Eltern aufgelehnt. Sie hat mich zu Weihnachten ein- und meine Eltern ausgeladen.
Seit 2018 ist das anders. Seitdem feiern meine Eltern wieder mit ihr – und inzwischen sogar mit meinem Bruder. Sie sind jetzt liebevolle Großeltern. Ich bin weiter kinderloser Single. Und während ich Weihnachten entweder in Südostasien oder bei Freunden verbringe, sitzen die Menschen, die mir dieses Fest genommen haben, unter einem festlich geschmückten Baum mit bunten Geschenken.

Dieses Fest ist damit für mich jedes Jahr aufs Neue eine Erinnerung daran, dass das, was ich mir damals so sehr gewünscht habe, für mich nicht mehr zurückkommen wird. Nicht damals. Und nicht heute.

Und ich glaube, dass das nicht nur mir so geht.

Weihnachten ist für viele Menschen kein Fest der Liebe. Ich merke das, wenn Menschen verächtlich lachen, wenn man ihnen „Frohe Weihnachten“ wünscht. Wenn hinter der Fassade aus Lichtern und Ritualen alte Wunden aufbrechen, die man den Rest des Jahres irgendwie überdeckt bekommt.

Ich muss in diesen Tagen immer wieder an meinen ganz besonderen (Weihnachts-)Baum denken und teile die Geschichte daher hier auch nochmal: es geht um den Burnout-Baum.

Ein Baum, der von Idioten angezündet wurde, aber nicht gleich lichterloh in Flammen stand, sondern nur geglüht hat und ich daher dachte, dass ich mit kleinen Eimern Wasser löschen kann. Bis ich bemerkt habe, dass das nicht geht und die Feuerwehr rief. Und der Löschvorgang dann dazu führte, dass der Baum erstmal lichterloh in Flammen stand und es so aussah, als würde alles noch schlimmer werden.

Weihnachten war für mich lange genau so ein Glutnest.

Jedes Jahr wieder ein kleines Aufflammen. Ein bisschen Verdrängen. Ein bisschen Funktionieren. Kleine Eimer. Keine Lösung.

In der Therapie wurde das anders. Da wurde nichts mehr verdeckt. Da wurde aufgedeckt. Und ja – der Schmerz wurde größer, bevor er kleiner wurde. So wie beim brennenden Baum. Aber genau das war notwendig, um das Feuer wirklich zu ersticken.

Ich weiß ehrlicherweise nicht, was man jetzt aus diesen Gedanken machen soll. Vielleicht gar nichts. Vielleicht ab und an ein bisschen bewusster sein. Vorsichtiger. Weniger automatisch freundlich, weniger fordernd fröhlich.

Und gleichzeitig halte ich es aber auch für falsch, dass man Menschen, die Weihnachten als etwas Schönes feiern möchten, mit der eigenen Geschichte belastet, indem man auf freundliche Grüße sich nicht bedankt, sondern gleich seine Kummer und Wut auf das Fest kundtut. Der freundlich grüßende Mensch kann ja nichts für die eigene Verbitterung.

Ich für mich gehe dieses Jahr zu einem guten Freund. Nächstes Jahr fliege ich vielleicht wieder in die Tropen. Vielleicht habe ich auch irgendwann doch noch eine eigene Familie und wieder einen bunten Baum.

Was auch immer kommt: es ist unser Job, dieses Leben zu gestalten mit allen Widrigkeiten, die es nun mal mit sich bringt. Das erzählt die Geschichte von Burnout-Baum. Und das erzählt auch meine eigene Geschichte.

In diesem Sinne: frohe Weihnachten.

Wie auch immer es gestaltet, gefeiert oder ausgehalten wird.